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Ernährungswissenschaftlerin Prof. Volkert über Risikogruppen und Ursachen
Immer mehr alte Menschen leiden an Mangelernährung. Welche Faktoren an der Entstehung beteiligt sind und wie sie sich gegenseitig beeinflussen, untersucht Prof. Dr. Dorothee Volkert mit ihrem Team vom Institut für Biomedizin des Alterns (IBA) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Zusammen mit 33 Wissenschaftlern aus elf Ländern hat sie ein Modell entwickelt, in dem mögliche Ursachen erstmals strukturiert und gewichtet dargestellt werden. Das Modell wurde vor Kurzen im wissenschaftlichen Fachmagazin „Gerontology & Geriatric Medicine“ veröffentlicht*.
Frau Professor Volkert, was ist Mangelernährung und wie wirkt sie sich aus?
Grundsätzlich spricht man von Mangelernährung oder Malnutrition, wenn dem Körper Energie und Nährstoffe fehlen, die er für einen reibungslosen Stoffwechsel braucht. Die Folgen einer Mangelernährung sind vielfältig und hängen vom Ausmaß und von den fehlenden Nährstoffen ab. Bei einer generellen Mangelernährung, bei der anhaltend sämtliche Nährstoffe fehlen, reichen die Folgen von Gewichtsverlust über eine Schwächung des Immunsystems bis hin zu funktionellen Beeinträchtigungen der Muskulatur und aller Organe. Der Körper greift auf alle Reserven zurück.
Kann Mangelernährung jeden treffen und wie entsteht sie?
Mangelernährung kann grundsätzlich in jedem Alter auftreten, und ist insbesondere im Krankheitsfall anzutreffen, bei älteren Menschen – per Definition ab 65 Jahren – ist das Risiko für Mangelernährung durch diverse Altersversänderungen deutlich höher. Wer zum Beispiel Probleme beim Gehen oder mit dem Treppensteigen hat, kauft seltener ein und findet auch das Kochen anstrengender. Wer alleine lebt, lässt öfter mal eine Mahlzeit ausfallen. Und wer an einer Depression oder einer anderen schweren Erkrankung leidet, hat oft kaum noch Appetit.
Die Ursachen von Mangelernährung im Alter sind vielfältig, die Fachliteratur führt mehr als 120 Faktoren aus verschiedenen Lebensbereichen auf. Welche dieser sogenannten Determinanten die wichtigsten sind und wie sich die unterschiedlichen Faktoren gegenseitig beeinflussen, ist jedoch nicht geklärt. Derzeit gibt es in der wissenschaftlichen Community kein einheitliches Verständnis über die Bedeutung einzelner Faktoren und deren Zusammenspiel. Und: Die wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden sind so unterschiedlich, dass sich die Studienergebnisse kaum vergleichen lassen und kein theoretisches Rahmenmodell zur Entstehung von Mangelernährung im Alter existiert.
Wie ist Ihr Determinanten-Modell für die Entstehung von Mangelernährung im Alter aufgebaut?
Unser neu entwickeltes Modell „Determinations of Malnutrition in Aged Persons“ – kurz DoMAP – veranschaulicht mögliche Determinanten und ihre Beziehung zu Mangelernährung und will zu einem gemeinsamen Verständnis der Vielzahl von Faktoren und unterschiedlichen Entstehungsmechanismen beitragen. Es besteht aus drei ineinander liegenden Dreiecksebenen. Die Mangelernährung steht im Zentrum und ist umgeben von den drei zentralen Entstehungsmechanismen der ersten Ebene: geringe Zufuhr, erhöhter Bedarf und reduzierte Bioverfügbarkeit. Die angrenzende zweite Ebene beinhaltet Faktoren, die direkt einen dieser Mechanismen verursachen – zum Beispiel Appetitlosigkeit als Ursache für geringe Zufuhr oder Durchfall als Ursache für reduzierte Bioverfügbarkeit. Die dritte Ebene beinhaltet Faktoren, die eher indirekt wirken und den Faktoren in Ebene zwei zu Grunde liegen – zum Beispiel eine Depression als Ursache für Appetitlosigkeit oder ein Schlaganfall als Ursache für Kau- und Schluckbeschwerden, die wiederum eine geringe Zufuhr bewirken.
Wie haben Sie das Modell entwickelt?
Im Rahmen der europäischen Wissensplattform „Mangelernährung im Alter“ (MaNuEL)” haben wir in einem mehrstufigen Konsensprozess insgesamt 33 Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen eingebunden. Zunächst haben wir den aktuellen Wissensstand zusammengetragen und diskutiert und darauf basierend einen ersten Entwurf des DoMAP-Modells erarbeitet. Beim Abschlusstreffen aller MaNuEL-Partner wurde dieser Entwurf zur Diskussion gestellt und anschließend in mehreren schriftlichen Runden kommentiert und entsprechend angepasst.
Welche Auswirkungen hat das DoMAP-Modell in der Praxis?
Das DoMAP-Modell soll zu einem gemeinsamen Verständnis der Vielzahl von Faktoren beitragen, die zu einer Mangelernährung führen können. Im klinischen Alltag kann es als direkte Handreichung für Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegepersonal dienen, um rechtzeitig Personen mit erhöhtem Risiko für Mangelernährung zu identifizieren und ihnen zu helfen. Darüber hinaus hat das Determinantenmodell großes Potenzial für zukünftige Forschung. Damit die Studien in Zukunft vergleichbare Ergebnisse liefern, arbeiten wir im nächsten Schritt gerade an einem Vorschlag zur standardisierten, einheitlichen Erfassung sowohl von Mangelernährung als auch der Determinanten, die wir in unser Modell aufgenommen haben.* doi: 10.1177/2333721419858438
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